„Ich habe Esssucht“ – Drei einfache Worte – Und doch kommen sie nur schwer über die Lippen – Wieso ist das so?

Immer wieder berichten mir Teilnehmerinnen unseres Workshops „Ausweg aus dem zwanghaften Essen“, dass es sehr viel Mut brauchte sich anzumelden und wie froh sie sind, diese Hürde genommen zu haben.Letztens mailte ich darüber mit einer dieser Frauen. Sie meinte, es läge nicht an der Workshop Beschreibung auf der Webseite. Dieser sei informativ und ansprechend. Es läge vielmehr daran, dass der Besuch eines Esssucht Workshops ein weiteres Eingeständnis wäre, sich selbst und Fremden gegenüber, dass man ein Problem mit dem Essen hat.

Dabei lässt sich die Existenz der Esssucht kaum verleugnen: Da sind diese ungeliebten Essanfälle und die ständig kreisenden Gedanken rund um Figur und Essen. Ein „ich kann nicht mehr aufhören zu essen“, eine schier unendliche Gier nach Essen, oft besonders nach „Verbotenen“ wie z.B. Süßspeisen.

Natürlich wissen wir das. Aber gleichzeitig möchten wir verdrängen und uns vormachen, dass alles gut ist. Ist es ja auch … bis zum nächsten Essanfall. Dann werden Vorsätze gefasst, Pläne geschmiedet, doch dann … wenn dieser Essanfall wieder gut genug verdrängt ist, sind die Pläne wieder vergessen, bis zum nächsten Essanfall. Und so weiter und so fort. So kann man Jahre verbringen und sich schön im Kreis drehen.

Das Eingeständnis „Ich habe Esssucht“ bedeutet gleichzeitig das Eingeständnis, dass es notwendig ist, etwas zu unternehmen. Doch so sehr diese Essanfälle gehasst werden, so sehr werden sie gleichzeitig gebraucht. Also bedeutet der Satz „ich habe Esssucht“ für viele gleichzeitig die Angst vor „Ich muss meine Essanfälle aufgeben“. Dies erzeugt ein riesen großes „HILFE!!!!!!“, denn wir haben noch nicht gelernt mit all den Gefühlen umzugehen ohne dem Hilfsmittel Essanfall.

Dazu möchte ich sagen, dass wir im Workshop niemanden die Essanfälle „wegnehmen“. Wir wissen, wie wichtig diese sind. Wir lernen zu verstehen, wieso diese Esssucht in unserem Leben ist . Wir nehmen Kontakt mit unserem Körper auf um zu spüren statt nur zu denken. Insbesondere Hunger, Sättigung und unsere Bedürfnisse. Und … wir essen gemeinsam. Das heißt, dass wir uns der Esssucht mit Respekt und Wertschätzung annähern und Veränderungen immer im Tempo der jeweiligen Teilnehmerin geschehen. Es gibt kein Messen, kein Wettrennen, kein besser oder schlechter. Jeder Weg ist individuell.

Zur Esssucht zu stehen bedeutet nicht, dass man überall herum erzählen soll, dass man davon betroffen ist. Nein. Es ist sehr wichtig, selektiv und achtsam auszuwählen, wem man sich anvertrauen kann, bei wem man sich öffnen möchte. Zur Esssucht zu stehen bedeutet aufzuhören mit dem Weglaufen und dem sich selbst belügen. Die Angst behutsam betrachten. Möglichst liebevoll darauf vertrauen, dass ein Schritt nach dem anderen kommen wird und nicht alle auf einmal.

Wenn man versteht, dass das Eingeständnis „Ich habe Esssucht“ nicht bedeutet von heute auf morgen alles im Leben umkrempeln zu müssen und von heute auf morgen die Essanfälle zu streichen, dann kommt der Mut vielleicht leichter zu uns. Auf dem Weg aus der Esssucht sind das Verstehen und Annehmen der Esssucht übrigens zwei sehr wichtige Schritte.

Ich würde mich sehr über online Rückmeldungen zu diesem Thema freuen! Diese sind übrigens auch anonym möglich! (eh klar, wer möchte schon seinen Namen unter einem Esssucht Artikel stehen haben)