„Muss ich nicht herausfinden, welche Gefühle ich mit dem Essen zudecke, um mich vom Esszwang zu befreien?“

Meine Antwort:

Wenn wir Esssucht haben decken wir ALLE Gefühle mit Essen zu. 

Und überhaupt unser ganzes Wesen. 

Es ist also völlig egal bei welchem Gefühl du anfängst. Am besten gleich beim Unwohlgefühl wenn du später z.B. zur Post gehst und dich über eine Warteschlange ärgerst.

Der Essanfall entsteht aus einer Summe an unterdrückten Gefühlen, nicht wegen „dem“ einen. 

Es geht darum zu lernen, Gefühle aushalten zu können, statt sie mit Essen zu betäuben.

Vielleicht klingt es seltsam mit dem Alltagsärger anzufangen, aber ich habe damit gute Erfahrung gemacht. 

Beginnen mit kleinen Dingen. Gleich heute, gleich jetzt.

Nicht erst dann, ja dann wenn wir D-I-E Ursache gefunden haben. 

Und auch mal dem Schönen nachspüren.

Denn wir sind es, die die Gefühle bewerten. Die Gefühle selbst wollen einfach nur sein wie sie sind.

Denen ist es egal, ob wir sie mit „gut“ oder „schlecht“ etikettieren.   

Ich persönlich finde, dass es nicht wichtig ist nach „d-e-r“ Ursache zu suchen. Meistens ist es eine Kombination aus Selbstwertmangel, Hochsensibilität, übergroßem Perfektionismus in Kombination mit Erlebnissen, denen wir in Familie, Freundeskreis, Schule etc. ausgesetzt waren.

Ich habe die Erfahrung gemacht, nachdem wir alle Ereignisse gewissenhaft aufgearbeitet haben (was ich sehr wichtig finde!), geht es irgendwann vor allem um das Spüren, das Fühlen.

Im Kopf ist alles bekannt, aber der Körper braucht noch. (Stichwort: Körpergedächtnis)

Hier gilt es zu verzeihen, Frieden zu schließen. Mit den Ereignissen, mit den Menschen, die einem etwas angetan haben und vor allem mit sich selbst. Aufzuhören die Schuld zu suchen sondern akzeptieren, wie es ist und war. Wie ich bin und war.

Ich bin nun erwachsen, mich zwingt niemand mehr mich zu zerstören.

Es geht letztendlich darum, mich nicht zu verurteilen, weil ich noch immer nicht perfekt funktioniere. Sondern mich liebevoll umsorgen, mich mal sein lassen mit meiner ganzen Unperfektion.

Gerade weil ich mich akzeptiere und liebe möchte ich dass es mir besser geht. Daher werde ich weiter an mir arbeiten um mein Leben zu verbessern, weil ich der Meinung bin, dass ich verdient habe, dass es mir gut geht.

Nun stehe ich aber nicht mehr mit der Peitsche neben mir, sondern mit einem schönen erste-Hilfe-Set.

Ich versuche mir nicht noch weitere Wunden zuzufügen. Versuche zu lernen mich mit all meinen Gefühlen auszuhalten. Mich aushalten.

Denn Wegrennen vor mir geht nicht. Da ich aus meiner Haut nicht heraus kann, gelingt Wegrennen nur mit Hilfe des Zudröhnens bei einem Essanfall. Es ist ein Betäuben, ein „nicht fühlen wollen“, ein „nun darf ich mal nicht perfekt sein“.

Es geht darum, auch ohne Essanfall alle Gefühle auszuhalten, auch das Gefühl, dass ich vor mir Wegrennen möchte.

Manche Gefühle werden zu groß sein für den Anfang.

Daher beginnen wir am besten bei den kleinen Ereignissen.

  • Wo spüre ich den Ärger? (z.B. wenn ich mich über die Warteschlange bei der Post ärgere)
  • Wie äußert er sich im Körper?
  • Kann ich ihn zulassen, aushalten? 

Wir können wir gesagt auch beim Schönen beginnen.

  • Wie äußert sich die Freude?
  • Wo im Körper spüre ich sie?
  • Kann ich sie zulassen, darf sie sein?

Spüren lernen ist wie bei vielem eine Frage der Übung.

Viele Übungen dazu liest du in meinem Buch „Essanfälle adé“.

Wenn wir mit kleinen Gefühlen oder freudvollen Gefühlen anfangen, können wir uns langsam an die großen herantasten. Schritt für Schritt. 

In meiner aivilo Praxis berühre ich meine KlientInnen mit der Rosen-Methode. Da fange ich oft mit dem körperlichen Spüren an von Orten, die nicht zu negativ besetzt sind, also z.B. von Händen oder Füßen, manchmal der Kopf. Irgendwann mit dem Rücken. Die Emotionen werden oft erst Thema, wenn die KlientIn bereits einige Male in meiner Praxis war und sich sicher fühlt.

Immer Schritt für Schritt und mit dem was gerade am einfachsten ist beginnen.