Vor einiger Zeit habe ich mir abgewöhnt zu sagen: „Ich habe keine Zeit“.

Dann bin ich wieder zu der „Ich habe keine Zeit“  Raunzerei zurückgekehrt, weil ich mir dachte „Hey, alle Welt glaubt, dass ich nichts arbeite“. Das war meinem Ego überhaupt gar nicht recht. Die Leute sollen bitteschön sehen, wie super fleißig ich bin!

Heute denke ich mir: Mir egal, was die anderen denken, ich weiß wie es wirklich ist. Ich gönne mir gerne ganz bewusst mit gutem Gewissen Auszeiten. Ich versuche den Satz „ich habe keine Zeit“ (ausgesprochen mit diesem raunzend-schnaufenden Unterton …. Sie wissen schon, was ich meine … oder … eine Variante: nur raunzend-schnaufend sprechen und das „ich habe keine Zeit“ als implizite Botschaft mitschicken) wieder möglichst zu streichen, ihn vielleicht nur ab und zu ganz bewusst heraushängen zu lassen.

Die Frage, die ich mir gestellt habe ist: Wenn ich aller Welt sage, dass ich keine Zeit habe, was will ich damit eigentlich wirklich bezwecken?

Dass alle sehen wie toll ich bin? (keine Zeit haben = viel Arbeit = toll)
Oder will ich Mitleid = Zuneigung? (keine Zeit haben = keine Zeit für mich = ich brauche ganz viel Mitleid weil ich ja so arm bin).

Zuneigung über negative Aufmerksamkeit ist irgendwie doof befand ich. Da mag ich lieber Zuneigung um der Zuneigung willen.

Und weiters kam noch eine simple Zeitrechnung dazu. Vielleicht ein bißchen naiv milchmädchenhaft wieder mal …. jeder Input oder Erweiterung des Rechenmodels wird gerne entgegengenommen 😉

Also rechnen wir mal zusammen:

Wieviel Zeit geht eigentlich drauf, dass ich sage oder denke, dass ich keine Zeit habe?

*) Klagen beim Telefonat mit einer Freundin, dass ich keine Zeit habe, weil ich so viel zu tun habe (5 Minuten)
*) Kaffeeklatsch mit Kollegen, lange und breit davon erzählen, wie viel Stress und wie wenig Zeit man gerade hat (10 Minuten)
*) Einleitung vor jedem Telefonat, dass ich nur kurz kann weil ich keine Zeit habe (jeweils 6 Sekunden bei sagen wir 10 Telefonaten macht 1 Minute)
*) Mir öfters am Tag denken: Hilfe, das schaffe ich nicht mehr, meine Zeit wird mir zu knapp (ca. 15 Minuten)
*) Durch hektisches hin und her verschuseln zahlreicher Dinge (Zeitverlust ca. 15 Minuten)

Das macht in Summe 46 Minuten.

Ein normaler Büroalltag hat fünf Tage, also 46×5=230 Minuten

Am Wochenende kommt dann noch das ausgedehnte Besprechen der Zeitknappheit dazu mit Freunden oder Partnern, wenn man versucht seine Freunde, Familie in den zwei Tagen unterzubringen (30 Minuten mindestens)

Wären wir bei 260 Minuten, macht also 4 Stunden und 20 Minuten.

In 4 Stunden 20 Minuten ließen sich schon eine Menge Freunde treffen und viele Dinge erledigen, oder mal eine Pause machen oder in Ruhe essen. Ich kann die Zeit nutzen um mir gründlich zu überlegen, welche Aktivitäten ich weglassen kann (und will), um wieder mehr Zeit zu haben.

Und hier noch eine kleine Steigerungsstufe unseres Rechenmodells:

*) wenn ich doch mal Zeit habe: Rechtfertigen vor mir oder anderen was ich sonst noch alles zu tun habe und schon alles getan habe und warum ich mir die Zeit nun endlich verdient habe (5 Minuten)
*) mich über den Satz ärgern „sag mal, hast Du nichts zu tun?“ (10 Minuten)
*) vor lauter Hektik mich selbst aus der Wohnung sperren, Ärgern, Schlüsseldienst anrufen, auf Schlüsseldienst warten, nochmal ärgern (Zeitverlust ca. 1 Stunde)
*) für Schlüsseldienst Euro 100 Bezahlen (Zeitverlust durch notwendige Mehrarbeit um dieses Geld wieder zu verdienen)
*) den Frust durch Shoppen ausgleichen (womit wieder noch mehr arbeiten notwendig ist und noch weniger Zeit da ist)

und so weiter und so weiter ;;-)

Wenn ich also möglichst nicht herum raunze, wie wenig Zeit ich habe, wie teile ich dann mit, dass ich gerade nicht kann?
Möglichst konstruktiv, sachlich: „Heute geht es leider nicht (raunzen weglassen) aber wir können uns gerne dann und dann treffen.“ (wenn ich nie Zeit finde: Überdenken, ob ich diese Person eigentlich überhaupt treffen mach)
„Ich kann gerade nicht telefonieren (raunzen weglassen), kann ich Dich in 2 Stunden noch erreichen?“.
„Das und das würde mir sicher Spaß machen aber momentan scheint es mir nicht so wichtig zu sein, sonst würde ich mir die Zeit dafür nehmen, andere Dinge sind mir eben wichtiger  (raunzen weglassen, Realität akzeptieren)“
„Das und das muss ich noch tun, aber es scheint nicht so wichtig zu sein, sonst hätte ich es längst getan, also lasse ich es eben noch liegen – ist OK, Du musst nicht immer was leisten (raunzen weglassen)“

Dies ist nicht gedacht als Plädoyer für „wir tun jetzt alle so, als ob alles immer ur super ist und lachen den ganzen Tag“ gedacht. Ist gedacht als kleiner Gedankenanstoß zum Thema Sprach- und Gedankenhygiene 🙂

(heißt jetzt nicht, dass ich vor dem Raunzen gefeilt bin … ich bin ja schließlich weder erleuchtet noch eine Heilige 😉 aber wenigstens möchte ich bewusst damit umgehen – nach dem Motto: Raus aus der Opferrolle, love it, leave it, or chance it)